Dienstag, 12. Juni 2007

Mitternacht Teil 9

Er ging los, ohne auf die Richtung zu achten.
Er hatte das Gefühl, dass sie richtig wäre und
er vertraute diesem, obwohl er es nicht kannte.

Er war sich sicher, so etwas noch nie gespürt
zu haben und doch kam es ihm so vertraut vor,
als hätte er dieses Wissen immer schon gehabt.

Er sah nur auf den Boden, um nicht über irgendwelche
Gräber oder weitere Wurzeln zu stolpern.

Plötzlich war er da.
Er stand vor einem Grab.
Das Kratzen war da.
Leise, doch so konkret wie nie vorher.

Vor ihm.
Unter ihm.
Es kam aus der Erde.
Aus dem Grab.

Michael Cunningham dachte nicht nach.
Er sah nicht auf die Inschrift des Grabes
vor ihm.

Die Sturmlaterne fiel ihm aus der Hand
Ihr Glas fiel auf die steinerne Umrandung
des Grabes und zerbrach.
Das Lampenöl floß aus, brannte.
Er beachtete es nicht.
Nichts schien jetzt noch von Bedeutung zu
sein, außer diesem einen Grab, das
da vor ihm lag.

Mit einer geschickten Bewegung, die
er sein Leben lang geübt hatte, immer wieder
und immer wieder, rammte er seine Schaufel
in den feuchten Boden.

Es war ihm, als wäre der Untergrund vor ihm
erst heute morgen aufgeworfen worden.
Wie ein Besessener wühlte er sich in die
nasse Erde.
Das brennende Lampenöl hatte in einer
feurigen Umarmung einen Ring um ihn gezogen.
Es floß um die Umrandung des Grabes und
brannte in einer hellen Corona um ihn.
Er beachtete es immer noch nicht.

Cunningham spürte, dass er sein ganzes
Leben lang auf diesen Augenblick gewartet
hatte. All diese zahllosen Gräber, die vielen
Beerdigungen, die ganze Schufterei, als einzige
Übung für diesen einen Moment.

Er grub wie ein Wahnsinniger.
...

Dienstag, 22. Mai 2007

Mitternacht Teil 8

...
Es war für ihn jedes mal traurig mitanzusehen,
wenn ein Grab nicht per Hand ausgehoben wurde.
Er fand es unwürdig und unpersönlich gegenüber
dem Hinterbliebenen.
Sein Sohn sah nur das Geld.
Ein Grab mit dem Bagger ausgehoben kostet
ihm weniger und macht ihn konkurenzfähiger,
hatte er mal gesagt. Immer nur das Geld vor
Augen vergaßen die alten Bestattungsunternehmer
die Würde und die Ehre, die dieser Beruf eigentlich
mit sich brachte und fixierten sich auf den Gewinn.

Die Zeiten hatten sich geändert, Michael Cunningham
war gleich geblieben, ein Relikt aus älteren Tagen,
mit anderen Wertvorstellungen und Träumen.
Er war überflüssig geworden, das ließ ihn sein
Sohn immer wieder spüren.
Doch er fühlte, dass er richtig war. Jetzt, in diesem
Moment, als er diesem schrecklichem Geräusch auf
die Spur ging, tat er etwas gutes, richtiges.
Es erfüllte ihn mit Stolz.
Aber auch mit Angst.

Er konnte sie langsam an seinem Bein hochkrabbeln
spüren, diese lähmende Furcht vor dem Unbekannten.
Etwas, das er nicht kannte, passierte hier.
Etwas, mit dem er nicht umgehen konnte.
und das beunruhigte ihn zutiefst.

Langsam drehte er sich im Kreis, um zu erkennen
aus welcher Richtung oder welcher Gruft nun dieses
Kratzen kam. Er konnte die Richtung immer noch
nicht bestimmen.
Schließlich beschloss er aufs geratewohl loszugehen
und zu sehen, ob dies die richtige wahr.

Er tat den ersten Schritt in Richtung McMullan Gruft
und stolperte dabei fast über eine Wurzel.
Auch wenn er nicht mehr der Schnellste war und
seine besten Tage schon hinter sich hatte, konnte
er sich doch noch rechtzeitig auffangen.

Er stütze sich auf seine Schaufel und atmete tief
durch, bevor er den nächsten Schritt machte.
Mit seiner Laterne begann er, den Boden auszuleuchten
und ging langsam weiter.
Er entfernte sich von dem Kratzen. Er konnte es
schon nach dem ersten Schritt hören, noch bevor
es eigentlich wirklich leiser wurde.
Michael Cunningham wusste es, schon in
dem Moment, als er beschloss in diese Richtung zu
gehen.

Er konnte es sich nicht erklären, doch tief in
seinem Inneren spürte er wohin er gehen musste.
Doch es gefiel ihm nicht.
Es gefiel ihm ganz und gar nicht.

Donnerstag, 10. Mai 2007

Mitternacht Teil 7

...
Selbst als er versuchte wirklich genauer hinzuhören
konnte er nicht sagen aus welcher Richtung dieser
verfluchte Störenfried sein Kratzen ausschickte.
Er beschloss weiter in die Mitte des Friedhofs zu
gehen um die Richtung herauszufinden.
Diesmal war der erste Schritt beinahe unmöglich.
Wirre Gedanken von Geistern, Guhlen, Zombies
und anderen Untoten Dämonen schwirrten durch seinen
Kopf und lähmten ihn fast vor Angst.

Er sah auf seine Hand, die sich bereits so fest in
die Schaufel gekrallt hatte, dass die Knöchel weiß
hervortraten. Als er versuchte seine Hand zu
entspannen wollte es erst nicht klappen.
Erst beim zweiten Versuch lösten sich die Finger
von dem alten Holz der Schaufel und schickten
eine Welle schrecklichen Schmerzes durch Cunninghams
Körper, auf die er absolut nicht vorbereitet war.
Er unterdrücke einen Aufschrei und krümmte sich
vor Schmerz. Das Pochen in seiner Hand lenkte
ihn ein bisschen von der lähmenden Angst ab,
die ihm noch bis vor kurzem nicht erlaubte einen
Fuß vor den anderen zu setzen.

Als der Schmerz langsam abklang, sah sich
der Totengräber erneut um. Er sah so wenig wie
zuvor, doch das Kratzen hatte sich nun entschlossen,
aus welcher Richtung es kommen wollte.
Es schien seinen Ursprung an der Westseite
des Friedhofs zu haben, dort wo die Grüfter der
wichtigsten Familien der Umgebung lagen.
Hillington war zwar kein großes Dorf, nicht so
groß wie Greenock oder Inverness aber es wohnten
in der Umgebung viele reiche und alte Familienclans
die ihre Toten auf dem Gräberfeld Hillingtons
zur letzten Ruhe betten ließen.

Das Gruftabteil der Clans lag auf einem Hügel im Westteil,
von dort aus hatte man einen wunderbaren Blick
über die Highlands und wenn der Tag klar war, konnte
man sogar das Meer am Horizont sehen.
Vielleicht war der Friedhof desswegen bei den Clans
so beliebt.

Erst letzte Woche hatten sie ein junges Mädchen
aus dem Stirling Clan beerdigt, das von einem pädophilen
aus der Gegend verschleppt, vergewaltigt und schlussendlich
erdrosselt wurde. Es war eine traurige Beerdigung, während
der viele Tränen flossen, die Kleine war sehr beliebt gewesen.
Auch der Mörder, der auf der Flucht von einem Bobby
erschossen worden war, wurde auf dem Friedhof begraben,
doch in einem anderen Winkel, ohne viel Aufhebens.
Er war bei beiden Beerdigungen dabeigewesen und das
Grab des Mörders hatte er selbst ausgehoben. Beziehungsweise
der Bagger hatte es ausgehoben, er hatte nur die
Maße abgesteckt und zugesehen wie das Untier seine Arbeit tat.
...

Mittwoch, 9. Mai 2007

Mitternacht Teil 6

...
Michael Cunningham schlich sich die Mauer entlang
bis er endlich das Loch gefunden hatte. Im Schein
seiner Laterne wirkte es wie das Tor zur Hölle selbst.
Die roten Backsteine reflektierten das Licht so falsch,
das sie in einem unwirklichem Glimmern zu leuchten schienen.

Er schrak zurück.
So etwas hatte er noch nie gesehen. Cunninghams Hände
schlossen sich fester um seine Schaufel und er spürte
den Angstscheiß auf seiner Stirn. Durch das Loch konnte er
die erste Gräberreihe im Schatten sehen, die Kreuze
ragten wie die Hände der Toten selbst aus dem Boden
und einer der Grabsteine schien in einem blauen Glimmer
zu glühen. Es war das Grab der McGylans, in dem
der Junge lag, der für das Loch in der Friedhofsmauer
verantwortlich war.

Der Totengräber kniff die Augen zusammen, als er sie wieder
aufmachte war das rote Glühen verschwunden und die Gräber
lagen wieder in ihrer gewohnten Ruhe da.
Seine Fantasie hatte ihm einen schlimmen Streich gespielt
und er wäre auf seine alten Tage schon beinahe darauf herein
gefallen.
Er trat durch das Loch, dass zuvor noch wie der Schlund der
Hölle ausgesehen hatte und jetzt kalt und tot wie alles
andere hier dalag. Er sah die vertraute Umgebung, die
Kreuze und Steine, die Skulpturen und Gruften. Viele
dieser Gräber hatte er eigenhändig noch ausgegraben,
bevor sein Sohn die Firma übernommen und einen
Bagger angeschafft hatte.

Cunningham hielt nicht viel von dem gelben Ungeheuer.
Es war zu groß und machte zu viel Lärm. Es nahm der
Arbeit die persönliche Note. Er fand es immer berührend
und wichtig, das Grab für jemanden, den man kennt
selbst mit der Schaufel auszuheben. Es hatte etwas
intimes und viele der Leute im Dorf wussten das zu
schätzen. Aber die meisten schätzten es mehr, dass
der Bagger billiger war und dadurch ein Grab innerhalb
einer Stunde ausgehoben und wieder zugeschüttet war.

Die jungen Leute wollten ihre Toten so schnell wie
möglich los werden. Es schien ihm, als habe keiner
mehr Respekt vor den Gestorbenen.
Michael Cunningham bekreuzigte sich, wie immer,
wenn er den Friedhof betrat und schritt dann
weiter in das Gräberfeld. All die Gedanken über den
jungen McGylan und diesen schrecklichen Bagger
hatten ihn fast den Grund vergessen lassen,
warum er zu so gottverlassener Zeit auf dem
Friedhof war.

Er horchte.
Das Kratzen war jetzt wieder etwas ferner als
noch vor der Mauer, doch er konnte es genau hören.
Jedoch ließ sich nicht genau feststellen, von welcher
Seite es kam. Es schien als würde das Geräusch wandern,
als wenn alle Toten in ihren Gräbern erwacht wären
und nun versuchten sich aus ihren Särgen zu kratzen.

...

Dienstag, 8. Mai 2007

Mitternacht Teil 5

Im schmalen Schein seiner Sturmlaterne konnte er
erkennen, dass er sich bereits dem Friedhof näherte,
er hatte jedoch den eigentlichen Weg verlassen.
Da er genau auf das seltsame Geräusch zusteuerte,
war er etwas abseits auf einer Wiese vor der Friedhofsmauer
gelandet.

Er hörte kaum ein Geräusch, wenn er mit seinen Füßen
im aufgeweichten Moos der Wiese einsank.
Langsam tauchte vor ihm die alte Friedhofsmauer auf.
Wie eine verfallene Ruine der Griechen, erhob sie sich zu
ihrer völligen, einst stolzen Größe, der Wind und Regen
stark zugesetzt hatten. Die roten Backsteine waren zu
einem traurigen, staubigen dunkelrot verblasst und der
Mörtel bröckelte aus allen Fugen.

Vor etwa zwei Jahren war einer dieser jungen Rabauken
aus dem Nachbardorf einmal mit seiner alten Rostlaube
betrunken unterwegs gewesen und hatte die Kurve neben
dem Friedhof nicht mehr geschaft. Er war mit knappen
60 Meilen die Stunde in die Mauer gerast und hatte ein
Loch hineingeschlagen, so als ob er auf dem direkten
Weg zu seinem Grab wolle.
Der Bengel war sofort tot.
Die Ironie war umso schrecklicher, als das einzige Grab,
dass er dabei wirklich beschädigte, das seiner Familie und
somit sein eigenes war. Es stand eine Woche lang in
allen Zeitungen, doch am Tag der Beerdigung selbst,
war es bereits wieder vergessen, wie so ziemlich alles
hier draußen schnell vergessen wird.

Das Loch dass der alte VW in die Mauer gerissen hatte,
war nie geschlossen worden, nur die Backsteine wurden nach
und nach von den Kindern der Maygels weggetragen um
damit wohl irgendeinen Unfug anzustellen.
Seitdem war das Loch jedes Jahr etwas größer geworden
und Michael Cunningham benutzte es sehr oft, wenn er
auf dem Weg zur Arbeit nicht den langen Weg um den
Friedhof herum zum Hauptportal nehmen wollte.
Auch diese Nacht hatte er vor es zu verwenden.

...

Donnerstag, 26. April 2007

Mitternacht Teil 4

...
Er hatte zwar Geschichten gehört in der die Toten,
wenn sie wieder aufstanden stöhnend und klagend herum
wandernd und sich an den Lebenden rächen.
Doch jeder Totengräber zimmert sich seine eigene
Geschichte zu den lebenden Toten zurecht und in
Cunninghams Vorstellung waren die Geister stumm.
Stumme, untote Leiber, die ihren Weg ins Jenseits noch
nicht gefunden haben, oder noch hier sind
um sich an ihren Mördern zu rächen.

Er näherte sich dem Friedhof nur langsam, doch konnte er
bereits die Kälte spüren die von den Toten in ihren
Gräbern ausgeht. Diese eisige Stille, die sich in das
Gebein der Lebenden schleicht entsteht nur nachts,
wenn der Mond sich hinter den Wolken versteckt und
kein Stern zu sehen ist.

Bei Tag oder bei mondklaren Nächten liebte er seinen
Friedhof. Die stillen Gräber strahlen dann eine Ruhe aus, die
jeden Ansteckt. Man kann auf dem Friedhof nicht laut
reden, die Ruhe steckt einen regelrecht an.
Doch wenn der Mond verschwindet und sich der Nebel
über das Gräberfeld legt zeigen sich die bösen Seiten.
Es wird bedrohlich und düster und die Kälte kriecht
aus allen Ritzen.

In solchen Nächten geht Michael Cunningham nicht gerne
dorthin. Er versucht ihn wenn möglich zu meiden,
doch heute hatte ihn eine bisher ungekannte Neugier
erfasst und so schritt er langsam weiter durch die
pechschwarze Nacht
...

Mittwoch, 25. April 2007

Mitternacht Teil 3

...
Doch es kam eindeutig aus der Richtung des Friedhofs.
-Unmöglich vom Friedhof selbst- dachte er sich - das müsste
ja dann dort unbeschreiblich laut sein-
Zögernd machte er den ersten Schritt in Richtung des
Gräberfelds. Der erste Schritt war immer der schwerste.
Wenn er erst einmal geschah, fielen einem die weiteren
schon leichter. Das war zumindest Cunninghams Erfahrung,
doch diese sollte sich diesmal nicht bewahrheiten.
Mit jedem Schritt den er in Richtung der Ruhestätte
machte wurde das Gewicht um seinen Magen schwerer.
Er hatte Angst.

Er hatte das Haus nun vollständig hinter sich gelassen und tauchte
gänzlich in die Dunkelheit der Nacht ein, gegen die seine
kleine Laterne mit dem Mut der Verzweiflung ankämpfte.
Es war ein ungleicher Kampf und die Aussichten auf Erfolg
waren verschwinden gering. Weiter als zwei Meter schaffte es
das Licht nicht, bevor es von der Nacht aufgesogen und verschluckt
wurde. Die zwei Meter reichten Cunningham zwar, sich zu
orientieren, doch sehen konnte er damit nicht viel.
[i] kratz, kratz [/i]
hörte er das verdammte Geräusch immer lauter, doch nicht
laut genug um wirklich in der Nähe zu sein. In Abwesenheit
des Lichts und seiner Sehfähigkeit schienen seine anderen
Sinne geschärft zu sein. Er roch jetzt das modrige Moos auf dem er
ging und hörte jedes Geräusch.
Das hieß, er hörte eigentlich nur sich und dieses verfluchte
Kratzen. Er stutzte und blieb stehen.

Er versuchte neben dem Geräusch das ihn geweckt hatte noch
andere Laute der Nacht zu erlauschen. Es waren keine da.
Keine Eule schrie, keine Grille zirpte und er hörte weder Stechmücken
noch Schnaaken, die in dieser Gegend, so nahe am Sumpf
in ganzen Kampfgeschwadern unterwegs waren.
Es schien als ob diese verdammte Dunkelheit alles Lebende
vertrieben hatte und nur die Toten noch wandeln.
Und die Toten machen keine Laute.
...

Montag, 23. April 2007

Mitternacht Teil 2

... Schließlich fand er sie irgendwo unter seinen anderen
Gerätschaften. Kurz zögerte er noch, dann griff er auch nach
einer seiner Schaufeln und nahm sie mit, um sich damit
behelfsmäßig zu bewaffnen.
Hätte ihn jetzt jemand gesehen, er wäre schreiend davongelaufen,
wenn er den Totengräber in seinem langen und schon sehr alten
Mantel, mit Pantoffeln an den Füßen, der Sturmlaterne in der
einen, die Schaufel in der anderen Hand gesehen hätte.
Das schüttere, graue Haar stand wirr von seinem Kopf ab und
unter seinen Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet.
Die Narbe auf seiner rechten Wange machte das Bild komplett
und verwandelte ihn in die Hauptfigur eines
kindlichen Alptraumes vom Butzemann.

Michael Cunningham kümmerte das nicht.
Er hatte nicht vor lange draußen zu bleiben und rechnete
nicht wirklich damit, jemandem zu begegnen. Er trat
aus der Tür und spürte die kalte, dunstige Nachtluft.
Er atmete tief durch, sog die Kühle in sich ein, die seine
Lebensgeister weckten, während er darauf wartete, dass
sich seine Augen an das, von der Laterne erzeugte
Zwielicht gewöhnten.

Der Himmel war wolkenverhangen und verdeckte so
den Sichelmond und die Sterne, sodass außer seiner
Laterne, keine anderen Lichtquellen vorhanden waren.
Vom Wald her kroch der Nebel in einem dichten, niedrigen
Schleier über den Boden, in Richtung Friedhof dahin.
Cunningham lauschte. Das Kratzen war jetzt viel leiser
als vorhin ...

Sonntag, 22. April 2007

Mitternacht Teil 1

Das Geräusch weckte ihn um fünf vor zwölf.
Das dumpfe Kratzen von Fingernägeln auf Holz.
Jenes schreckliche Geräusch mit dem sich Totengräber
immer gegenseitig aufziehen. Das Kratzen von
den Fingernägeln der lebendig Begrabenen auf
den Deckeln der Särge.

Keiner von ihnen hatte es jemals gehört, doch
jeder hatte eine bestimmte Vorstellung davon
wie es sein würde, wenn sie es das erste mal hörten.
Michael Cunningham war nicht darauf gefasst gewesen
es zu hören. Vor allem nicht in seiner Wohnung.
Obwohl sie nahe am Friedhof lag, war es unmöglich
dieses verzweifelte Kratzen zu hören, selbst wenn der
Wind richtig ging.

So schlussfolgerte er, dass es sich um etwas anderes handeln
musste. Trotzdem entschied er sich dem nächtlichen
Ruhestörer auf den Grund zu gehen.
Vermutlich, so dachte er, nur eine dieser dämlichen Nachbarskatzen
die um diese Zeit nichts besseres zu tun hat als an irgendeiner
scheiß Tür zu scharren und damit unschuldige Totengräber
aus ihrem wohlverdientem Schlaf zu reißen.

Er machte die Lampe an und zog seine Pantoffel an,
es war furchtbar kalt ausserhalb des Bettes und er fror.
Cunningham nahm den Mantel vom Hacken und
suchte nach seiner Sturmlaterne...

[Fortsetzung folgt...]

Montag, 16. April 2007

Der Tag der Gerechten

Der Staub deckte die ganze Szenerie mit einem dichten
Schleier ein, der es jedem Zuseher unmöglich machte
zwischen Freund und Feind zu unterscheiden.
Nicht dass es in diesem Moment noch von Bedeutung
gewesen wäre. In dieser Phase des Kampfes
war es für Schaulustige egal wer gerade die
Oberhand hatte. Wichtig war nur, dass Blut floss.
Und bei Gott das tat es.

Der Sheriff hatte seine Männer in einer
erhabenen Phalanx in der Mitte der Hauptstraße
aufgestellt, während sich die Eindringlinge in
einer lockeren Formation näherten.
Die erste Salve hatte die Straße mit einem blauen
Pulverdunst überzogen und die ersten Männer waren
gefallen.
Niemand versuchte, in Deckung zu gehen.

Die erste Salve muss sitzen, hatte der Sheriff seinen
Männern zugerufen. Darauf hatte er selbst das Feuer
eröffnet. Seine Debuties waren dem Beispiel gefolgt
und feuerten aus allen Rohren.
Die erste Reihe der Eindringlinge fiel lautlos, sie waren
die Todgeweihten, das Kanonenfutter, dahinter waren
die wahren Kampfreihen gestanden.
Sofort, als ihre Kameraden zu Boden fielen, hatten
auch sie das Feuer eröffnet.

Unter ihrem schrecklichem Kriegsgeschrei waren
sie auf die Gesetzeshüter losgestürmt.
Die Blutfontänen tränkten die Hauptstraße mit
dem Lebenssaft der Gefallenen.
Der Kampf war in vollem Gange.
Anfangs waren noch viele Schaulustige neben der
Straße gestanden und hatten blutgierig darauf
gewartet, dass die ersten Männer starben.

Doch nachdem sich die Kampfreihen aufgelöst
hatten und die Querschläger in die Frontpartien der
Häuser einschlugen lösten sich die Mengen auf.
Die Leute suchten Schutz hinter Fässern und
Markiesen.

Nach etwa zehn Minuten war das Spiel vorbei.
Die Eindringlinge tot, der Sheriff zwar verwundet,
doch noch am Leben.
Siegreich ließ er ein Geschrei ertönen, das
die Menschen erzittern ließ.
Angst weicht Freude.
Entsetzen weicht Triumph.
Leben weicht dem Tod.