...
Michael Cunningham schlich sich die Mauer entlang
bis er endlich das Loch gefunden hatte. Im Schein
seiner Laterne wirkte es wie das Tor zur Hölle selbst.
Die roten Backsteine reflektierten das Licht so falsch,
das sie in einem unwirklichem Glimmern zu leuchten schienen.
Er schrak zurück.
So etwas hatte er noch nie gesehen. Cunninghams Hände
schlossen sich fester um seine Schaufel und er spürte
den Angstscheiß auf seiner Stirn. Durch das Loch konnte er
die erste Gräberreihe im Schatten sehen, die Kreuze
ragten wie die Hände der Toten selbst aus dem Boden
und einer der Grabsteine schien in einem blauen Glimmer
zu glühen. Es war das Grab der McGylans, in dem
der Junge lag, der für das Loch in der Friedhofsmauer
verantwortlich war.
Der Totengräber kniff die Augen zusammen, als er sie wieder
aufmachte war das rote Glühen verschwunden und die Gräber
lagen wieder in ihrer gewohnten Ruhe da.
Seine Fantasie hatte ihm einen schlimmen Streich gespielt
und er wäre auf seine alten Tage schon beinahe darauf herein
gefallen.
Er trat durch das Loch, dass zuvor noch wie der Schlund der
Hölle ausgesehen hatte und jetzt kalt und tot wie alles
andere hier dalag. Er sah die vertraute Umgebung, die
Kreuze und Steine, die Skulpturen und Gruften. Viele
dieser Gräber hatte er eigenhändig noch ausgegraben,
bevor sein Sohn die Firma übernommen und einen
Bagger angeschafft hatte.
Cunningham hielt nicht viel von dem gelben Ungeheuer.
Es war zu groß und machte zu viel Lärm. Es nahm der
Arbeit die persönliche Note. Er fand es immer berührend
und wichtig, das Grab für jemanden, den man kennt
selbst mit der Schaufel auszuheben. Es hatte etwas
intimes und viele der Leute im Dorf wussten das zu
schätzen. Aber die meisten schätzten es mehr, dass
der Bagger billiger war und dadurch ein Grab innerhalb
einer Stunde ausgehoben und wieder zugeschüttet war.
Die jungen Leute wollten ihre Toten so schnell wie
möglich los werden. Es schien ihm, als habe keiner
mehr Respekt vor den Gestorbenen.
Michael Cunningham bekreuzigte sich, wie immer,
wenn er den Friedhof betrat und schritt dann
weiter in das Gräberfeld. All die Gedanken über den
jungen McGylan und diesen schrecklichen Bagger
hatten ihn fast den Grund vergessen lassen,
warum er zu so gottverlassener Zeit auf dem
Friedhof war.
Er horchte.
Das Kratzen war jetzt wieder etwas ferner als
noch vor der Mauer, doch er konnte es genau hören.
Jedoch ließ sich nicht genau feststellen, von welcher
Seite es kam. Es schien als würde das Geräusch wandern,
als wenn alle Toten in ihren Gräbern erwacht wären
und nun versuchten sich aus ihren Särgen zu kratzen.
...
Mittwoch, 9. Mai 2007
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