Donnerstag, 7. Januar 2010

Aus dem Tagebuch eines ...

Wie fange ich diese Geschichte an?

Beginne ich mit den endlosen Schmerzen,
der Pain und dem Versagen der Menschen um mich?

Oder greife ich damit zu sehr vor und ich
muss mit etwas Belanglosem anfangen, einem
Blatt, dass von einem Baum fällt, einem
Stein, der einen Hang hinunter kullert und
wundervoll metaphorisch, andere Steine mitnimmt.

Das wäre schön, würde dem Leser einen leichten
Einstieg in die Situation gewähren, der Leser
würde sich langsam in meine Situation hineinfühlen
können, er könnte meine Handlungen und Gefühle nachvollziehen,
sich mit mir identifizieren.

Will ich das?

Eine weiter Frage, die zu beantworten ich nicht
im Stande bin. Ganz ohne Frage, ich habe Dinge getan,
schlimme Dinge, unaussprechliche Dinge, die zu eben
diesem Ereignis geführt haben, doch sehe ich sie nicht
als die Einleitung zu meiner Geschichte.

Ich will jeden, der bereit ist meine Geschichte zu
verfolgen schockieren, ihn einvernehmen, ihn in
Haft nehmen, verhören, foltern, bis er genau auf
meiner Gedanklichen Wellenlänge liegt und sieht
was ich sehe, hört was ich höre und fühlt was ich fühle.

Ist das möglich?

Kann jemals ein Mensch auch nur ansatzweise nachvollziehen
in welcher Situation ich mich hier und heute befinde?
Ich fürchte, das ist unmöglich. Ach ja, ich weiß wie sich
das anhört. Es klingt nach dem üblichen Ich-bin-ja-so-unverstanden-kein-Mensch-weiß-was-ich-durchmache Mist, aber ich weiß dass niemand
so fühlt wie ich.

Ich habe mich umgesehen, umgehört. Ich war
bei unzähligen Psychiatern, Psychologen und Psychotherapeuten.
Ein bisschen zu viel Psycho für meinen Geschmack.

Jetzt sitze ich hier, mein T-Shirt ist voller Blut und ich denke
nach wie ich meine Geschichte an den Mann bringen kann.
Ich habe mir im Vorhinein schon zwei Versionen überlegt.

Zwei Versionen, die unterschiedliche Reaktionen bei den Menschen
hervorrufen werden. Die eine, eine furchtbare, aber wahre
Geschichte über das Leben eines 15jährigen, wir die Menschen
schockieren, abschrecken und verärgern. Sie werden sich denken.
"Was für ein kranker Mensch" werden sie sagen "wie kann so etwas
in unserer Gesellschaft überleben, wie kommt es, dass niemand
seine furchtbaren Gedanken gewittert hat"
Sie werden diverse Ego-Shooter auf meinem PC finden, die Diskussion
um "Killerspiele" wieder anfachen, die Opfer betrauern und mich
hassen. Aber das bin nicht ich.

Ich weiß dass ich hassenswert bin. Meine Gesamte Existenz ist
eine einzige Verspottung dessen, was die Menschheit seit Jahren
versucht auszumerzen. Aber dennoch..

Die zweite Version.

Ja, die habe ich noch nicht fertig. Ich weiß nicht, wie
ich sie anfangen soll. Ich weiß was rein kommt. Ich weiß wie
ich alles erklären kann. Wie ich den Menschen nach mir sagen kann,
dass es nicht die Schuld meiner Eltern, nicht die Schuld von
Videospielen, nicht die Schuld von Musik ist, warum ich das
gemacht habe... aber wo fange ich an?

Menschen werden sterben. Ich werde sterben. Ich hatte immer
gedacht, im Augenblick, da man sich seines Todes sicher sein kann,
erlebt man eine nie geahnte Klarheit. Ich erlebe im Moment nur
eine nie geahnte Verwirrtheit. Ich finde die Worte nicht.
Ist es Verzeihung? Entschuldigung? Erklärung?

Die einleitenden Worte fehlen mir. Danach wird alles klar.
Alles nachvollziehbar. Alle werden mich verstehen.
Sie werden sehen, was passiert ist, sehen was war und
was ist....

Gott, wenn ich nur die Worte wüsste..

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