Die Sonne geht auf.
Die Welt geht unter.
In den Augen des Mädchens spiegelt er sich wieder.
Die Ganze Welt in diesen Augen.
Der Junge sitzt neben ihr und traut sich nicht
ihre Hand zu nehmen, während am Horizont
die blutrote Sonne langsam höher steigt.
Tief in sich spürt er, dass er es will und seine willige
Hand zuckt kurz auf, bevor sein unwilliger Geist sie wie
einen Hund zurückpfeift.
Sie sitzen dicht nebeneinander um die ersten Strahlen
der Sonne aufzufangen, in sich aufzunehmen und zu speichern.
Die rote Scheibe klettert langsam höher und die Schatten ziehen
sich, wie lichtscheue Tiere zurück.
Das Mädchen atmet tief ein und lässt die Luft dann mit einem tiefen,
wehmütigen Seufzer wieder in die Freiheit. Er sieht sie an und bemerkt
den sorgenvollen Ausdruck in ihren Augen. Wieder kann er in
ihren Augen alles sehen, was sie sieht und er versteht ihre Sorge.
In solchen Momenten, an denen man völlig zur Ruhe kommt beginnt
man zu denken. Und man denkt nach, über all die Dinge die passiert
sind. Man beginnt sich der Dinge zu erinnern, die vergangen sind
und dann fängt man an darüber traurig zu sein.
Die Sonne beleuchtet die Stadt jetzt wie das Feuer, welches sie
zerstörte. Das orange-rote Leuchten dringt in die Ritzen, wirft Schatten,
verstärkt sie und entlässt sie in die Welt. Die zerrissene, zerfetzte Kontur
der Stadt liegt wie ein getöteter Drache im Morgenrot.
Nun ist es der Junge, der die Luft einsaugt und dann mit einem
lauten Seufzen entlässt. Das Mädchen hat den Kopf gedreht und sieht
ihn jetzt an. Er lässt sich von ihren Augen gefangen nehmen, verliert
sich in diesem Universum, in dem es um so viel einfacher zu sein
scheint als hier.
"Hast du manchmal Angst?" fragt sie ihn zögernd. Nachdem sie beinahe
drei Stunden schweigend nebeneinander gesessen hatten, klingt
ihre Stimme irgendwie unwirklich und falsch, doch sie gefällt ihm und
er lässt ihren Klang langsam in sich wirken und legt sich darauf wie auf
ein Kissen. Dann erst lässt er die Botschaft ihrer Worte zu sich durchdringen
und antwortet:
"Jeden Abend. Jede Nacht. Aber wenn die Sonne aufgeht verfliegt die Angst.
Man kann nicht immer Angst haben." sagt er. Dabei versucht er weise zu klingen
und nicht so aufgeregt und unerfahren, wie er sich gerade fühlt. Er sieht ihr
in die Augen und schafft es, nicht wieder in diese Fantasie einzutauchen, sondern
in der Realität zu bleiben, die ihm nun gar nicht mehr so schlimm erscheint.
"Ja. Stimmt. Das wäre schlimm." sagt sie leise. Die Worte sind wenig mehr als ein Flüstern,
doch er versteht sie sehr gut.
Dann steht er auf. Er streckt ihr die Hand hin und noch bevor ihm überhaupt
klar wird, was gerade geschieht nimmt sie seine Hand und zieht sich daran hoch.
"Gehen wir. Sonst brechen die anderen ohne uns auf." sagt sein Mund, doch
er selbst ist beschäftigt sich jeden kleinen Eindruck dieser Berührung zu merken.
Er klettert von dem rostendem Panzer hinab und hält dabei immer noch ihre Hand.
Vorsichtig schafft er es, nicht auf eines der halb-verrotteten Skelette zu treten, die
hinter dem Stahlmonster liegen. Dann hilft er dem Mädchen hinunterzuspringen und
die beiden gehen zurück zum Lager.
Im Licht der aufgehenden wandern sie die Straße entlang. Sie halten sich dabei
immer noch an den Händen und hüpfen zwischen den ausgebrannten Autowracks
zurück in das Lager neben der Autobahn, dass sie bald abbrechen würden.
Zwei Kinder, deren Welt in Ordnung ist. Zumindest für eine Zeit.
Donnerstag, 8. Mai 2008
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