Mittwoch, 13. Mai 2009

Auf dem Hügel

Das ist es also. DArauf hat die Menschheit
ihre ganze Existenz lang hingearbeitet. Vom
ersten Halbaffen der einen Stein aufhob um
ihn dem nächsten Halbaffen auf den Kopf zu
schmettern über die kunstvoll geschmiedeten
Rasierklingenschwerter der Samurai bis zu
der beliebtesten Terroristenwaffe der AK-47.
Alles nur für diesen Moment.

Die Gedanken rotieren in meinem Kopf. Alles
wird irgendwie einfach. Intensiver.
Ich kann das Gras unter mir spüren. Jeden
einzelnen Halm. Nicht spitz sondern
weich und saftig. Ich kann regelrecht fühlen
dass es von so intensivem grün ist, dass es schon
beim bloßen Ansehen eine Metapher für
das Leben ist.

Der Hügel auf dem ich sitze erscheint mir mit
jedem Wimpernschlag höher. Auch das kann ich
spüren. Die Höhe und die Luft, die mir immer
dünner vorkommt.

So lange Zeit. Jedes Jahr, jedes verdammte Jahrhundert.
Die Aufklärung, die industrielle Revolution. Jeden
beschissenen Krieg den die Menschheit gekämpft hat nur
um schließlich zu diesem Punkt zu kommen.
Wenn man mich noch vor zwei Jahren gefragt hätte,
hätte ich gesagt dass es völlig klar ist, dass
es schlussendlich zu diesem Moment kommen würde,
aber ich hätte es mehr im Scherz gesagt.

Bei Gott ich kann sogar die Luft wirklich riechen.
Normalerweise riecht man nur die Gerüchte in der
Luft, aber mir kommt es vor als könnte ich die
Luft selbst riechen. Jedes einzelne Sauerstoffmolekül,
dass ich durch die Nase einsauge kann ich verfolgen
auf dem Weg in die Lunge und durchs Blut wo es
irgendwo von einer Zelle aufgenommen und in Kohlendioxid
verwandelt wird, bis es schließlich durchs Blut über
die Lunge wieder ausgeatmet wird.

Dieser Vorgang dauert so unendlich lange. Man erzählt
sich, dass ein Mensch kurz vor seinem Tod und damit
meint man nicht Tage oder Wochen davor, sondern
unmittelbar davor alles intensiver wahrnimmt, so wie
ich jetzt.

Allerdings sagt man das auch bei Epileptikern,
dass sie plötzlich alle Sinne geschärft haben, alle
Eindrücke intensiver und schöner wahrnehmen bevor
ihre Muskeln anfangen zu krampfen.

Ich bin alleine auf dem Hügel und sehe zu wie
sieh die Wolke vor mir aufbaut. Ich überlege ob ich
wohl zuerst das Donnern höre und spüre, oder
ob die Druckwelle schneller ist. Der Boden
wird beben, soviel ist sicher. Aber ich möchte
gerne wissen, ob ich das noch mitbekomme, oder
ich da bereits durch die Gegend fliege.

Ich wünsche mir, dass die Druckwelle langsamer ist.
Der Blitz war schon sehr beeindruckend, dass muss
ich neidlos zugeben und die Wolke jetzt... ja sie
entbehrt nicht einer gewissen Schönheit.

Innerlich schüttle ich den Kopf als ich wieder
über die Gesamtheit der Situation nachdenke. Alles
umsonst. Die ganzen Bemühungen für ein friedliches
Zusammenleben, für eine gesunde Ernährung, für eine
schöne Umwelt. Die Bewegungen für die Rechte der
Frauen, gegen den Antisemitismus, für die
Gleichberechtigung der Schwarzen...

Schlussendlich alles für den Arsch.
Ich sitze hier auf einem Hügel und bin alleine.
In meiner Hand das letzte Bier. Ich bin stolz auf mich,
dass ich es noch geschafft habe es auszutrinken.
Ich inhaliere noch einmal tief den stechenden
Rauch der filterlosen Camel.

Ich weiß, dass die meisten meiner Freunde vor
einer verschlossenen Bunkertür stehen und wie wild
darauf einhämmern. Ich habe mich dagegen entschieden
weil ich mich damit abgefunden habe.
Was wäre mir auch sonst übrig geblieben.

Jahrelanger Zynismus muss konsequent bis zum
Ende durchgezogen werden. Ich mag die Situation
irgendwie, obwohl ich weiß dass ich in wenigen Sekunden
sterben werde. Aber wir müssen alle irgendwann sterben.
Und jetzt sterben wir eben alle gemeinsam.

Ich lasse meine Finger noch einmal über das
feuchte Gras gleiten während sie die Pilzwolke vor mir
weiter aufbaut. Ich sehe wie die Druckwelle den
Hügel hinaufrast und weiß dass sie verdammt
schnell ist, doch es kommt mir vor als würde
sie sich mit der Geschwindigkeit einer dreibeinigen
Schildkröte vorwärts schleppen.

Gut, dass ich hier bin, denke ich mir las ich
das Donnern spüre und das tiefe Grollen meinen ganzen
Körper zum Vibrieren bringt.

Ha! Nicht schneller als der Schall, denke ich.
Da trifft mich die Druckwelle.
Den Feuersturm der ihr folgt spüre ich gar nicht mehr.

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Lange bevor